
Der absoluten Herrschaft des Philosophen ist also am ähnlichsten nicht die absolute Herrschaft des Nichtphilosophen, sondern … das regimen mixtum, eine Verfassung mit monarchischen, aristokratischen und demokratischen Elementen, also eine Ordnung, in der es weder Sieger noch Besiegte, sondern ein bonum commune gibt.
Robert Spaemann1
Eines vorweg: nicht einmal der IWF schafft es über Jahre hinweg, sich – zum Vorteil für alle – gegen landläufige Meinungen und politische Haltungen durchzusetzen. Im Paper „Redistribution, Inequality, and Growth“ aus dem Jahr 2014 wurde festgehalten, dass Umverteilung „im Allgemeinen zu höherem und stetigerem Wachstum führt.“ Darüber hinaus haben auch soziale Investitionen volkswirtschaftliche Vorteile, die beispielsweise in jedem einzelnen Fall von Housing First € 15.000,– pro Jahr ausmachen.
Unser gesellschaftliches Miteinander ist viel zu komplex, als dass die Allgemeinheit die ihr gegebenen Möglichkeiten in einem zufriedenstellenden Ausmaß nützen kann. Die Vielen stehen daher mit ihren Interessen auch weiterhin unter politischem Druck. Selbst eine seit Jahrhunderten währende Phase der Aufklärung2 konnte eine würdige Vertretung ihrer Anliegen3 nicht auf Dauer sichern4. Ein Mindesterfordernis für unser Handeln sollte sein, zumindest die jeweils nächste Krise5 im Sinne des Gemeinwohls besser bewältigen zu können. Karl R. Popper: „Wir dürfen nicht mehr andere Menschen tadeln, wir dürfen auch nicht die dunklen ökonomischen Dämonen hinter der Szene anklagen. Denn in einer Demokratie besitzen wir den Schlüssel zur Kontrolle der Dämonen. Wir können sie zähmen.“ Sein Vorschlag lautete: „…; wir müssen6 Institutionen7 konstruieren, die es uns erlauben, die ökonomische Gewalt auf demokratische Weise zu kontrollieren und die uns Schutz vor der ökonomischen Ausbeutung gewähren.“ Konkret könnte diese Vision vorbeugend wirkende Ergebnisse liefern, als wären sie auf Fels gebaut:
Durch die Wahl von engagierten Fairtreter*innen in einen ÖkoSozialRat8 als selbstverwaltete Gemeinwohlregierung mit Vetorecht gegenüber dem Gesetzgeber sollen die politischen Anliegen des Souveräns in unseren DEMOkratien in all ihrer Vielfalt ausgleichend9 wahrgenommen werden. Ganz ohne parteipolitische Vereinnahmung. Es gilt, die Fairteilung der Macht des Souveräns als lebendiges Spiel zu inszenieren, damit dieser Prozess eines Tages nicht als „altmodisch, als zopfisches Relikt der Vergangenheit empfunden“ (Hermann Hesse) wird.
Wer die Menschen unserer Zeit effizient erreichen und überzeugen will, muss seine Marken und Botschaften auf den großen Events positionieren und dort mit emotionaler Energie aufladen.
Bernhard Heinzlmaier, S 59
Die politisch Einfluss nehmende Wirkmächtigkeit individueller, insbesondere privater Interessen in einer zunehmend globalisierten Welt übersteigt bei weitem die Beiträge jedes Einzelnen von uns auf dem Weg zu einer nachhaltigen „Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft“. Das gilt auch für viele Einzelne, die sich im Rahmen von Protesten organisieren – Beispiel: Plattform25. Erst ein aufeinander abgestimmter Einsatz zur Realisierung von demokratisch legitimierten Institutionen zur Förderung von Gemeinwohl stärkt die dafür so wichtigen Kräfte, damit wir als Gesellschaft(en) die „technischen, sozialen und kulturellen Innovationen“ schaffen, die Voraussetzung sind für ein „gutes Leben für alle“.

So abwegig, wie es sich vermuten lässt, ist der Gedanke einer Nebenregierung gar nicht: In Irland gestalten seit 2014 fallweise einberufene Bürgerversammlungen10 die Zukunft des Landes mit. Bürgerräte zu installieren ist mittlerweile auch in anderen Ländern modern geworden. Ihre Mitbestimmung beschränkt sich allerdings auf die Beantwortung

einzelner, komplexer Problemstellungen. Eine Vorstufe dazu bildet in Österreich beispielsweise der üblicherweise geheim tagende Sicherheitsrat als beratendes Gremium in Fragen der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Räte als Beratungsorgane gibt es übrigens viele und zu den verschiedensten spezifischen Themen, wie beispielsweise jenen für Robotik und Künstliche Intelligenz. In Fragen des Wettbewerbs jedoch wacht eine eigene Behörde darüber, inwieweit die dahingehenden Interessen vom Gesetzgeber beachtet wurden. Dasselbe gilt für Zentralbanken: unabhängig von der Politik im jeweiligen Land wachen sie über die Preisstabilität, damit diese durch ein übermäßiges Begehren von Regierungen nicht außer Kontrolle gerät.
Es ist spürbar und könnte einen Wandel im vorherrschenden Zeitgeist auslösen: Die „res publica“, die gemeinsame „öffentliche Sache“, hat nicht nur eine erinnerungswürdige Vergangenheit, sondern ist eine entscheidende Chance für die Zukunft unserer Demokratie.
Klaus Unterberger, in: Idee Österreich
Mit der Gründung eines ÖkoSozialRates zur Überwachung der Interessen des Gemeinwohls – als ein Ausdruck des republikanischen Prinzips in der österreichischen Bundesverfassung – kann bereits bei der Entstehung von Gesetzen verstärkt darauf geachtet werden, Potenziale bei allen im Land lebenden Menschen zu heben, nicht nur bei den hauseigenen Fachkräften. Philanthropie hingegen erzielt diesbezüglich allenfalls marginale Fortschritte.

„Länder mit starkem Sozialstaat sind wettbewerbsfähig, weisen hohe Arbeitsproduktivät und ein hohes Bruttoinlandsprodukt (BIP) auf.“ (Armutskonferenz)
Außerdem: Die angebliche Schuldenfinanzierung des Sozialstaates ist eine neoliberale Erfindung. (Markus Marterbauer)
Und: Länder mit hohen Sozialausgaben haben auch hohe Wirtschaftsleistung pro Kopf. (Markus Marterbauer)
Ein Sozialstaat und dessen Erfolge beim Heben von Potenzialen der Menschen, die in ihm leben, können durch Almosenpolitik allein bei Weitem nicht ersetzt werden. Mit einer angemessenen Fairteilungspolitik sollen aber auch der soziale Frieden (durch Begegnung auf Augenhöhe) und die Prosperität langfristig gesichert werden. Andernfalls besteht die Gefahr, zuvor einen mitunter tödlichen Kampf gegen Armut und Ausbeutung führen zu müssen, um erst danach aus den Erfahrungen zu lernen. Jahrhunderte der Aufklärung haben uns nicht davor bewahrt, dass auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts weiterhin rechtsextreme, nationalistische und populistische Positionen in europäische Parlamente gewählt werden mit zum Teil gefährlichen Folgen – unterstützt durch verharmlosende Aussagen von Regierenden – für die Bürger*innen11 ebenso wie für Menschen, die aus humanitären Gründen den Schutz vor Verfolgung in ihren Heimatländern suchen.
Auch innerhalb von Gemeinschaften basiert
der Erhalt des sozialen Friedens auf der bündnishaften aktiven Aggression.Richard Wrangham12, in: Die Zähmung des Menschen, S 313
Deshalb ZukunftsWerkstatt
Um den ÖkoSozialRat-Gedanken näher ausformulieren zu können bedarf es einer ersten Zusammenkunft von Expert*innen aus unterschiedlichen Bereichen und am Thema Interessierten13. Gesucht wird ein am (All-)Gemeinwohl orientiertes Forum (ÖkoSozialRat?) zur politischen Stärkung der Multitude. Darin überprüfen (nicht nur wissenschaftlich arbeitende) Fachleute als „neutrale Instanz“ Gesetze dahingehend, inwieweit sie dem Gemeinwohl entsprechen (Birger Priddat spricht in seinem 3sat-Interview vom 2017-08-25 dabei von „Gemeinwohlcontrolling„).

Nach einer „kritischen Weiterentwicklung der spätmodernen Lebensform“ fragend, antwortet Andreas Reckwitz u. a. mit „gesellschaftlichen Stellschrauben“ bzgl. einer „stärkere[n] Berechenbarkeit bestimmter Grundvoraussetzungen des Lebens … qua Steuerung von staatlicher Seite“ und mit „Maßnahmen zur Minderung der starken Ausschläge sozialer Ungleichheit, die sich aus den polarisierten Arbeitsmärkten ergeben.“ (S 233f) Vgl. Wilkinson/Pickett: „… how more equal societies reduce stress and improve wellbeing„

Auf der Suche nach theoretischen Überlegungen darüber finden wir im Buch „Zivilgesellschaft“ von Frank Adloff weitere Hinweise:
- Zu den Bedingungen einer aktiven Gesellschaft zählt Etzioni die Existenz handlungsfähiger Kollektive, die über Wissen und Macht, also Kontrollfähigkeiten verfügen. (S 68)
- Der Politikwissenschaftler und Soziologe Claus Offe (2002) hat herausgearbeitet, mit welchen Problemen es die Gemeinwohldefinition zu tun hat. … Drittens muss man sich darüber klar sein, um welche sachliche Komponente es beim Anvisieren des Gemeinwohls gehen soll: Prosperität, Vollbeschäftigung, Bildung, Gesundheit, Frieden sind Ziele, denen man sich gemeinwohlorientiert verschreiben kann, doch ist nicht ersichtlich, in welche Hierarchie man sie bringen soll (ebd., S. 71). Schließlich fragt Offe nach dem sozialen Ort der Gemeinwohldefinition: Wer in Staat und Gesellschaft soll über all die angesprochenen Fragen entscheiden? (S 76f)
- Untere Einkommensgruppen und Personen mit niedrigem Bildungsniveau sind in zivilen Assoziationen unterrepräsentiert und damit schlechter mit sozialem Kapital ausgestattet. … Diese sozialen Gruppen waren früher häufig in die Assoziationen der klassischen sozialmoralischen Milieus eingebunden: in die Organisationen der Arbeiterbewegung oder in das organisatorische Umfeld der katholischen Kirche. … Die neuen Assoziationsformen verlangen von den Mitgliedern typische Mittelschichtskompetenzen – gefragt ist der selbstreflexive und selbstverwirklichungsorientierte „Konsument“, der autonom sein zeitweiliges Engagement gestaltet (Brömme/Strasser 2001, S. 13). Gerade für die ressourcenschwachen Bevölkerungsgruppen stellten die klassischen Milieus mit ihren Geselligkeitsformen niedrigschwellige Angebote für Partizipation dar. Die ungleiche Verteilung von Einkommen, Vermögen und Bildung schlägt offenbar auf die Fähigkeit durch, sich sozial zu vernetzen, sich zu binden, sich sozial oder politisch zu engagieren, „also ‚Zivilgesellschaft‘ zu betreiben und zu stärken“ (Nolte 2003b, S. 43). (S 127f)

Strukturell verankerte Solidarität kann Gewalt verringern helfen
Die Auswirkungen einer Politik, die ihr Augenmerk auf die Mitte der Gesellschaft konzentriert und dabei gleichzeitig diese sozioökonomisch erodieren lässt, erkennen wir „endlich“ im Ergebnis der Landtagswahl Thüringen 2019.
Offenbar waren die bisherigen politischen Kräfteverhältnisse, ausgehend von den bestehenden Institutionen, nicht dazu in der Lage, diesen Wahlergebnissen vorzubeugen. Dieser Befund trifft nicht allein auf Thüringen zu, jenes Bundesland, das am MI 5. 2. 2020 eine überwunden geglaubte Geschichte wiederaufleben ließ. Wie bereits Birger Priddat in seinen oben erwähnten Antworten darauf Bezug nimmt: es braucht neue Instanzen (Institutionen), die entsprechende Begutachtungen von Gesetzen durchführen (dürfen), um dem Gemeinwohl mehr politisches Gewicht zu verleihen. Jene Kräfte, die aus privaten Interessen heraus weiterhin dagegen arbeiten, haben Shoshana Zuboff zufolge eine Achillesferse: „Sie fürchten Gesetze.“
Wenn wir die Schutzvorrichtungen in unseren Gesellschaften weiter ausbauen, wird der Schaden auch in Zukunft weiter abnehmen.
Richard Wrangham, a. a. O., S 341
Im gemeinsamen Wort des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz zur Zukunft unseres demokratischen Gemeinwesens heißt es dazu (Gemeinsame Texte Nr. 19, November 2006):
Die Entfaltung demokratischer Tugenden ist eine notwendige Bedingung dafür, Demokratie zu erhalten und lebendig zu halten. Eine andere notwendige Bedingung für eine gute Zukunft des demokratischen Gemeinwesens ist das Vorhandensein belastbarer und leistungsfähiger Institutionen.
Für Papst Franziskus ist es sogar so, dass „Kirche Politik muss„. Vor Führungskräften meinte er dazu im März 2019: „Politik ist eine Berufung zum Dienst, die die soziale Freundschaft zur Erzeugung des Gemeinwohls fördert.“ Auf das Gemeinwohl kommt er immer wieder zu sprechen, so auch im Juni 2013, als er auf die Frage nach dem „sozialen und politischen Engagement in der Gesellschaft“ wie folgt beantwortet:

Etwas mehr als drei Jahre später heißt es in der COMECE-Erklärung vom 12.12.2016 „Verschafft Recht den Unterdrückten“ (Psalm 82,3): „Aus Sicht der Katholischen Soziallehre ist Armut zumeist Ergebnis von strukturellen Barrieren, die Menschen in ihren Möglichkeiten begrenzen und sie somit in ihrer persönlichen Entwicklung und Freiheit, in Würde zu leben, einschränken.“
Nutzendiskussion
Mit dem Gemeinwohl wird auch der soziale Frieden in einer Gesellschaft gefördert. Damit verbunden sind Standortvorteile im internationalen Wettbewerb.
Geht es um mehr Gerechtigkeit auf den Arbeitsmärkten, so bietet Arbeitszeitverkürzung beispielsweise wertvolle Dienste. Gleichzeitig können – entsprechende Rahmenbedingungen vorausgesetzt – wertvolle volkswirtschaftliche Produktivitätsgewinne gehoben werden: die Erfolge einzelner Unternehmen bei der Einführung einer 4-Tage-Woche weisen auf große ungenutzte Potenziale hin.

Karl Klein im März 2003 über Selbstverwaltung* als „eine Funktion der Menschenwürde“ (in Auszügen), verfasst als damaliger Leiter des Referats für Kollektivverträge im ÖGB und Bundessekretär der FCG. Apropos ÖGB: nichts weniger als „ein gutes Leben für alle„ ist sein Ziel (vgl. KAB, KSOE u. v. a.). Den Autorinnen zufolge gehören dazu „vor allem Chancengleichheit und Selbstbestimmung für jeden Menschen in diesem Land.“ Konkrete Beispiele beschreibt auch Veronika Bohrn-Mena in ihrem Buch „Die neue ArbeiterInnenklasse„.
*| … ausführlicher siehe „Gedanken zur sozialen Selbstverwaltung“ von Josef Cerny

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Kommentar
Deine Zukunftswerkstatt kann ich inhaltlich voll unterstützen, dein Text ist ein toller Reader in bezug auf politische Teilhabe; insbesondere den Aufsatz über die ungleiche Responsivität finde ich sehr aufschlussreich.
Anna Wall-Strasser in ihrem e-mail vom 9.1.2020
Anmerkungen
1| Zitat: Robert Spaemann, in: Die Philosophenkönige, erschienen in: Politeia, hrsg. von Otfried Höffe, Berlin: Akademie Verlag, 3. überarbeitete Aufl., 2011, S 127

Weitere Zitate: Empirisch gesehen ist es äußerst unwahrscheinlich, daß ein Machthaber sich der Philosophie ernstlich zuwendet. Und umgekehrt sind Philosophen nicht an Macht interessiert. (S 124)
Wenn Platon nicht drei, sondern sechs Staatsformen unterscheidet, dann ist der Unterschied der drei guten von den drei schlechten primär ein inhaltlicher. In den guten orientieren sich die Herrschenden am Gemeinwohl, in den schlechten regieren sie nur zu ihrem eigenen – vermeintlichen – Vorteil. (S 128)
Das Gute ist das koinon, das Gemeinsame. …
Es ist zwar Vorsorge getroffen, daß die Wächter keine individuellen Interessen haben, die nicht mit denen der Polis zusammenfallen. Das ist der Sinn ihrer Besitzlosigkeit und Ehelosigkeit. Aber diese Vorkehrung kann nicht vollständig sein, solange die Wächter nicht – als Philosophen – die persönliche Einsicht haben, daß das Allgemeine als solches zugleich ihr eigenes „Gutes“ ist. … Wenn sie edler sind als das Volk der Gewerbetreibenden, dann deshalb, weil sie nicht aus sind auf Geld und Genuß, sondern auf Ehre. Und Ehre ist die Gratifikation, die das Gemeinwesen für sie bereit hat. Es ist eine immaterielle Entschädigung, und sie ist unmittelbar definiert durch das, wofür man sie erhält: den Dienst am Gemeinwohl. (S 129)
Für Platon bedeutet Einsicht in „das Gute selbst“ eine innere Verwandlung, in der die Identität des „Schönen“, d. h. des Sittlichen mit dem „Guten“, d. h. dem Zuträglichen, unmittelbar erlebt wird. Philosophie ist nicht nur eine bestimmte theoretische Beschäftigung, sondern ein bios, eine Lebensweise. Und es ist sogar wesentlich für den Philosophen, der die Polis regieren soll, daß diese Lebensweise von Anfang an Kontemplation und politische Aktion miteinander verbindet. Wer sich nur der philosophischen Theorie widmet, soll ebenso von der Macht ausgeschlossen sein wie der Nur-Politiker. (S 131)
Auch Sokrates kommt zu einem vergleichbaren Befund. Er macht aber auch einen Vorschlag, wie die Kontemplativen dazu zu bewegen sind, ihren „Dienst am Gemeinwohl“ zu leisten: „Sokrates behauptet, nur der Philosoph, der die Sonne erblickt habe, sei geeignet, die Höhlenbewohner zu regieren – wenn man ihn irgendwie durch eine List dazu bringen könne, wieder in die Dunkelheit zurückzukehren, in der sie hausen.“ (Michael J. Sandel, in: Gerechtigkeit, Berlin: Ullstein, 2019, 6. Aufl., S 44)
Diese List könnte heißen: SommerSonnenWahl
2| Wenn die Mehrheit einzelnen Gruppen Rechte zubilligt, sich aber „in der Minderheit wähnt, reicht ordentliche Aufklärungsarbeit“ (Leonardo Bursztyn),
damit die Wahrscheinlichkeit dafür steigt, dass Gesetze diese Haltung benachteiligten Gruppen gegenüber widerspiegeln. Doch Aufklärung darüber wird von politischen Gruppen unterbunden, nur um ihre eigenen Interessen durchzusetzen: so werden deren gesellschaftspolitische „Schattenseiten“ wie der Wunsch nach Schwächung der Sozialpartnerschaft nicht weiter kommentiert. Auch „Erziehung und Aufklärung“ gemeinsam werden nicht reichen, um eine „breite Akzeptanz der Demokratie“ zu erreichen. Genausowenig wird das Kreditsystem reformiert durch zahlreiche, aufklärende Filme wie zB „To BIG To Tell“ von Johanna Tschautscher: Die Robert Jungk Bibliothek wählt diesen Film in die Top Ten der Zukunftsliteratur 2014.
Dies wird nur möglich sein, wenn „die Demokratie substanziell liefert“ (Christoph Hofinger). Mit anderen Worten: vernachlässigen klassische „Mitte-Parteien“ die Interessen und Bedürfnisse von Menschen an den sozialen Rändern und gefährden sie dadurch auch die Mittelschicht selbst, dann kann es schon einmal passieren, dass die Angebote von Parteien an den Rändern weitaus besser nachgefragt/gewählt werden.

3| Beispiele: Wege aus der Krise > Zukunftsbudget, ATTAC, Netzwerk von Christen für eine gerechte Welt > was wir brauchen für das, was wir wollen, … und was es u. a. noch braucht zur Realisierung einer gerechten Gesellschaft, die uns ein „gutes Leben für alle“ sichern soll: Allianzen (allein reichen nicht), Testimonials und schließlich (erneuerte und/oder neue) Instanzen/Institutionen
4| Auch und gerade eine über Jahrzehnte erfolgreiche „Politik für die Mitte“ trägt dazu bei, dass die verschiedenen Interessen „der anderen“ nicht berücksichtigt werden (müssen). Beziehen wir bei „den anderen“ sowohl Nicht-Wählende, als auch Nicht-Bürger*innen und die Interessen von Kindern mit ein, dann grenzt eine regierende „Mitte-Politik“ eine mit großem Abstand überwiegende Mehrheit der innerhalb der nationalen Grenzen lebenden Menschen aus. Der elitäre Kampf um soziale Abgrenzung übersieht dabei zwei wichtige Aspekte:
- „Umverteilung scheint im Allgemeinen einen positiven Einfluss auf das Wachstum zu haben“ und
- selbst auf der Seite des sozial investierenden Staates ergeben sich wirtschaftliche Vorteile.
Auf die Frage von Tarek Leitner, ob es eine Gegenbewegung nach rechts brauche antwortet Peter Altmaier (Wirtschaftsminister der CDU): „In Deutschland werden Wahlen immer noch in der Mitte gewonnen …“. Friedrich Merz spricht ebenso von einer „Volkspartei der Mitte“ wie Annegret Kramp-Karrenbauer. Robert Sommer (Augustin) meinte dazu: „Wir klären darüber auf, dass unsere Gesellschaft den Rand bewusst reproduziert.“ Besonders deutlich wird dies bei ausgrenzenden Maßnahmen im Rahmen der Hartz IV-Bestimmungen in Deutschland, wonach Langzeitarbeitslosen zeitweise das Recht auf einen Mindestlohn vorenthalten wird. So entsteht ein Nährboden für den Niedriglohnsektor. Mit dem in Grundsatzprogrammen proklamierten Gemeinwohl
Selbst wenn „Gemeinwohl“ nicht ausdrücklich und grundsätzlich angestrebt wird, wird in der Wahlwerbung darauf Bezug genommen. Es geht auch anders, indem Parteien sich um die Probleme von Menschen bemühen, obwohl sie von diesen kaum gewählt werden.
hat das nichts mehr zu tun, vielmehr mit einer „bewussten Spaltung der Gesellschaft„. Dies gilt insbesondere dann, wenn die „systembedingten Hintergründe“ für dieses Verhalten bekannt sind. Trotz ihrer bereichernden Aspekte ist Migration diesbezüglich ein besonders beliebter Ansatzpunkt. Edzard Reuter erkannte darin bereits 2002 „Mutlosigkeit und Feigheit„. Schon damals meinte er: „Bisher mag das gut gegangen sein.“ Und er fügte fast schon prophetisch hinzu: „Die unmittelbar Beteiligten scheinen daher entschlossen, genauso weiterzumachen. Die Gefahr, die sich dahinter verbirgt, ängstigt offenbar kaum eine oder einen von ihnen – dass nämlich die grundlegende Akzeptanz des durch Parteien geprägten demokratischen Systems verloren gehen könnte, wenn die Diktatur der ‚Mitte‘ (Anm.: „Diktatur der Mitte“ wird 17 Jahre später auch gern in der politischen Kampfrhetorik verwendet und mit der Terrorherrschaft der Jakobiner in Verbindung gebracht) eines Tages den Verlust von ernsthaften politischen Alternativen nach sich ziehen sollte.“ Mittlerweile gibt es den Trumpismus ebenso wie die Gefahr eines unreglementierten Brexit und die AfD. Glücklicherweise gibt es aber auch Hoffnung, um das Schlimmste abzuwenden: Matteo Salvini wurde der Gelegenheit beraubt, Italien weiter in einen Strudel nach unten zu ziehen, es gibt die Jungen in den USA, die nicht mehr an das „Gute im Kapitalismus“ glauben und es gibt in Österreich den Solidaritätspakt der Zivilgesellschaft. In Deutschland beginnt mit dem „sogenannten Mietendeckel“ des Berliner Senats gar eine Zeitenwende hin zu einem „einbettenden Liberalismus“, um die „richtige Balance von Regulierung und Öffnung zu finden.“

5| Harald Schoen ging der Behauptung nach, „Angst lasse eine Wahlentscheidung zugunsten konservativer und rechter Parteien wahrscheinlicher werden, und zwar auf Kosten von linken und linksliberalen Parteien (Ochmann 2009)“ (S 206) und stellte fest: „Von der Wirtschaftskrise ausgelöste Angst trug offenbar dazu bei, dass BürgerInnen bei der Bundestagswahl 2009 von ihrer langfristigen Parteibindung abwichen und verstärkt auf kurzfristige Issueorientierungen reagierten. Angst lässt Menschen offenbar politische Wahrnehmungs- und Entscheidungsroutinen infrage stellen und steigert dadurch ihre Bereitschaft, sich für andere politische Angebote als bisher zu entscheiden. Folglich scheinen die erheblichen Verschiebungen der Stimmenanteile bei dieser Wahl von emotionalen Reaktionen der BürgerInnen auf die ökonomische Talfahrt begünstigt worden zu sein. Zugleich deuten die Befunde darauf hin, dass Ereignisse, seien es Kriege, ökonomische Krisen oder Seuchen, die bei vielen Menschen Angst auslösen, das Potenzial besitzen, die politischen Kräfteverhältnisse in einer Gesellschaft kurz-, aber auch langfristig erheblich zu verändern (siehe hierzu Campbell et al. 1960, 151). Beispielsweise könnte von der Weltwirtschaftskrise ausgelöste Angst zum Untergang des Parteiensystems der Weimarer Republik und zum Aufstieg der NSDAP beigetragen haben (Falter et al. 1983; Falter 1991). Anders gewendet, sollten etablierte Parteien ein erhebliches Interesse daran haben, potenziell angstauslösende Krisen zu verhindern oder einzudämmen, weil sie andernfalls mit dem Verlust ihrer Unterstützung in der Bevölkerung rechnen müssten.“ (S 218)
aus: Die Wirtschaftskrise, Angst und politische Urteilsbildung. Eine Analyse zum Affective-Intelligence-Modell am Beispiel der Bundestagswahl 2009, erschienen in: Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft (ÖZP), 39. Jg. (2010) H. 2, 205–222
6| Im Sinne einer Verteidigung des Gemeinwohl(gedanken)s lässt sich aus folgenden Forschungsergebnissen eine Erfordernis zum Handeln wie folgt darstellen: In ihrem Aufsatz „‚Dem Deutschen Volke‘? Die ungleiche Responsivität des Bundestags“ berichten Lea Elsässer et al. über ihre Arbeiten zum Thema „selektive Responsivität„. Dabei stellten sie fest: „Auf eine Übereinstimmung zwischen den eigenen Präferenzen und politischen Entscheidungen können untere Einkommensgruppen nur hoffen, wenn diejenigen mit hohen Einkommen dasselbe wollen.“ (S 176) Eine Seite später in ihrer Diskussion der Ergebnisse heißt es: „Was Bürger_innen mit geringem Einkommen in besonders großer Zahl wollten, hatte in den Jahren von 1998 bis 2015 eine besonders niedrige Wahrscheinlichkeit, umgesetzt zu werden.“

Die Konsequenzen einer Politik, die über längere Zeit Menschen mit geringeren Einkommen schlechter stellt sind hinlänglich bekannt. Überdies würden Ökonom*innen dazu sagen: die Ressourcen eines Landes werden suboptimal genutzt. Im internationalen Wettkampf um wirtschaftlichen Wohlstand heißt das: wir verlieren alle, wenn wir „als Mitte der Gesellschaft“ die Interessen der Vielen ignorieren und die Entwicklung ihrer Potenziale nicht konstruktiv unterstützen. Wenn es nun darum geht, die Entwicklung der Potenziale in all ihrer Vielfalt zu unterstützen, sind „asymmetrische Machtverhältnisse“ konstruktiv aufzulösen. Mit dem Verfahren der „Interaktiven Konflikttransformation“ kann versucht werden, „kreativere Lösungsperspektiven zu finden, die auf einer Anerkennung der Grundbedürfnisse aller Konfliktparteien beruhen.“ Doch solange Warnhinweise wie jene von Ulrike Herrmann in den Wind geschrieben werden, solange ist keine Besserung in Sicht. Wir müssen schon auch über unsere Schatten, sprich: Verhaltensmuster, Vorurteile und Bequemlichkeiten springen (wollen).

Für Robert Schabus war die Einführung von Hartz IV ein „soziales Verbrechen, das zu Lohndumping führte.“ Ihm zufolge braucht es „mehr Beteiligung – dass man die Menschen ins politische System wieder reinholt.“ (vgl. Glasperlenspiel)
7| Gerechtigkeit lässt sich nicht allein „durch Werke des Gesetzes“ herstellen. Ebensowenig durch die Einrichtung von „gerechten Institutionen“. In seinem Werk

„Die Idee der Gerechtigkeit“ meint Amartya Sen: „Jede Theorie der Gerechtigkeit muss der Rolle von Institutionen einen wichtigen Platz einräumen, so dass die Institutionenwahl zwangsläufig ein zentraler Bestandteil jeder plausiblen Darstellung der Gerechtigkeit ist. Allerdiings müssen wir uns – aus den bereits genannten Gründen – um Institutionen bemühen, die Gerechtigkeit fördern, und wir sollten nicht Institutionen schon für sich genommen als Erscheinungsformen von Gerechtigkeit behandeln, denn das würde die Überzeugung widerspiegeln, dass ausschließlich Institutionen das Fundament der Gerechtigkeit sind.“ (S 110) Auf diesen Aspekt geht er noch näher ein: „Die Überzeugung, dass ausschließlich Institutionen das Fundament der Gerechtigkeit sind, könnte nicht nur zu einer groben Missachtung der Komplexität von Gesellschaften führen, sondern die Selbstzufriedenheit, die ziemlich häufig mit vermeintlich souveräner Klugheit bezüglich der Institutionen einhergeht, blockiert sogar eine kritische Überprüfung der tatsächlichen Konsequenzen, die sich aus der Verfügbarkeit der empfohlenen Institutionen ergeben. Der ausschließlich auf Institutionen gerichtete Blick erfasst zumindest formal keine Geschichte der Gerechtigkeit über die Einrichtung der ‚gerechten Institutionen‘ hinaus. Trotzdem, danz gleich, mit welchem Gut man die gewählten Institutionen iin Verbindung bringt, ist es schwer vorstellbar, dass sie für sich genommen grundsätzlich gut sind und nicht nur potentiell wirksame Mittel zum Erzielen akzeptabler oder hervorragender sozialer Leistungen.
Dem Anschein nach ist dies leicht einzusehen. Und doch impliziert die Art des gewählten, auf Institutionen konzentrierten Plädoyers selbst in der politischen Philosophie die Überzeugung, dass ausschließlich Institutionen das Fundament der Gerechtigkeit sind.“ (S 111)
Eine Seite weiter führen ihn seine Überlegungen schließlich zu der Frage: „Aber was ist, wenn die Gesamtheit der so genannten ‚gerechten Institutionen‘ zu Ergebnissen führt, die für die Menschen in jener Gesellschaft katastrophal sind, ohne ihre unmittelbaren Ansprüche, etwa die Garantie von Freiheitsrechten, zu verletzen?“ (S 112f) Seine Anmerkung darauf: „Man kann zeigen, dass ökonomische und politische Kräfte, die schwerste Hungersnöte erzeugen, dieses Ergebnis bewerkstelligen, ohne irgendjemandes Freiheitsrechte zu verletzen.“ Amartya Sen weiter im Text: „Wenn schwere moralische Katastrophen ein zureichender Grund sind, das Vertrauen in die angeblich rechten Institutionen ganz aufzugeben, könnten dann nicht auch schlimme soziale Konsequenzen, die nicht absolut katastrophal, aber übel genug sind, zureichende Gründe sein, die Priorität von Institutionen auf weniger drastische Weise in Zweifel zu ziehen?
Ein generelles Problem besteht natürlich in der elementaren Unzuverlässigkeit, die ungeachtet der möglichen Exzellenz von Institutionen entsteht, wenn man nicht ständig aufmerksam beobachtet, was in der Welt geschieht.“ (S 113)

Angesichts dieses kritischen Befundes können wir nun fragen: Wer sonst als die von Robert Spaemann mit dem Begriff „Philosophenkönige“ titulierten Diener*innen am Gemeinwohl könnten diese kritische Leistung in die Welt der „gerechten Institutionen“ einbringen? Jean Ziegler: „Wenn alle Welt schweigt, … muss der ‚gute Mensch‘ Fragen stellen, … Er muss den Frauen und Männern, die die Welt verändern wollen, Waffen in die Hand geben.“ Dazu reicht es, ihnen die Möglichkeit zu geben, die von ihnen als „gut“ erlebten Menschen (vgl. SommerSonnen) in eine Zweite Kammer neben dem Parlament zu wählen.

8| Bereits Birger Priddat sprach 2017 davon, dass „jedes Gesetz, nachdem es formuliert ist“ von Fachleuten einer „neutralen Instanz nochmal begutachtet werden [soll], wieweit es dem Allgemeinwohl dient“.

Der beste Beweis dafür, dass diese Instanz – trotz aller Kritik an der Sinnhaftigkeit eines Bundesrates als zweite Kammer des Parlaments – ein „Rat“ sein sollte und kein „Bei-Rat“, liefert die Klimageschichte selbst. Zahlreiche Beiräte auf der ganzen Welt haben die Richtung, in die die Politik zu gehen hat, bei weitem nicht ausreichend genug beeinflussen können.

9| Dadurch soll ein Interessensausgleich geschaffen werden gegenüber Partikularinteressen, die auf ihre Art in die Gesetzgebung hineinwirken.
Auf Wikipedia lesen wir folgendes zum Thema (Platons …)
Philosophenherrschaft als Verwirklichung der Gerechtigkeit
Das Prinzip der naturgemäßen, zweckmäßigen und damit gerechten Zuteilung der Aufgaben hat insbesondere für die Staatsführung zu gelten, denn von einer vernünftigen Auswahl des Führungspersonals hängen die Fortexistenz des gesamten Gemeinwesens und das Wohl der Bürger ab. Wenn die Führungsaufgaben nach einem rationalen Prinzip zugewiesen werden, ist jemand für eine Lenkungsfunktion nicht dadurch qualifiziert, dass er sich in einem Machtkampf durchgesetzt hat oder sich durch seinen Reichtum Einfluss verschafft. Es ist aber auch nicht vernünftig, die Führung demjenigen anzuvertrauen, der die Zustimmung der Mehrheit findet, denn demokratische Mehrheiten sind irrtumsanfällig. Der Masse der ungebildeten Bürger fehlt der Durchblick, sie sind leicht verführbar und ihre Entscheidungen hängen von irrationalen Motiven ab. Die Führung darf aber nur den Bestqualifizierten überlassen werden, die sich ausschließlich durch ihre Kompetenz dafür legitimieren und nur das Wohl des Gemeinwesens im Blick haben.
Der Hinweis auf einen möglicherweise fehlenden Durchblick kann genauer untersucht werden und liefert u. a. diese Ergebnisse:
„Die Qualität der Demokratie äußert sich unter anderem in einer breiten, über alle gesellschaftlichen Gruppen hinweg verteilten Partizipation. Dabei sind die Ressourcen Bildung und Einkommen zentrale Faktoren. Sind diese ungleich verteilt, wirkt sich dies auf die Partizipation aus, was letztlich die Legitimation demokratischer Systeme schwächt. Zahlreiche Studien belegen mittlerweile eine deutliche Beziehung zwischen Beteiligung und Ungleichheit: Der Politikwissenschafter Frederick Solt belegte in europäischen Longitudinalstudien, dass gemeinsam mit der steigenden Einkommensungleichheit die Wahlbeteiligung sinkt. Andrea Filetti wies kürzlich nach, dass der Gini-Index hinsichtlich Einkommensungleichheit eine negative Relation zur politischen Beteiligung aufweist: Je größer der Unterschied, desto weniger Menschen engagieren sich in politischen Vereinigungen, unterzeichnen eine Petition oder beteiligen sich aus politischen Gründen an einem Konsumboykott. Auch die jüngste Oxfam-Studie widmete sich dem Thema und die Wochenzeitung ‚Die Zeit‘ resümierte: Wer reich ist, macht Politik.“ (Tamara Ehs, in: Wien wählt (nicht): Demokratische Beteiligung 1918-2018)
Was wir dagegen tun können? Am Schluss ihrer Arbeit resümiert Tamara Ehs: „Der Faktor Bildung spielt auf zweierlei Weise eine Rolle: Einerseits sind Höhergebildete seltener und wenn doch kürzer arbeitslos, andererseits geht mit ihrer höheren Bildung ein stärkeres Verständnis politischer Selbstwirksamkeit einher. Das heißt, selbst wenn diese Menschen eine Zeitlang arbeitslos sind, halten sich aufgrund ihrer sozialpsychologischen Charakteristika dennoch an der politischen Teilnahme fest. Im Sinne der Demokratie müsste daher jenen unteren Einkommensschichten besondere Aufmerksamkeit zu Teil werden, die seit Jahren unter oder nur knapp über der Armutsschwelle leben. Arbeitsplatz und materielle Sicherheit erscheinen somit als konstitutive Voraussetzungen für politisches Engagement. … Laut Ifes-Chefin Eva Zeglovits ist bei den jüngsten Wahlberechtigten der Migrationshintergrund von ausschlaggebender Bedeutung. Sie bleiben am häufigsten der Wahl fern. Jenen familiären Sozialisationserfahrungen könnte jedoch in der Schule im Rahmen von mehr politischer Bildung begegnet und somit wieder ein wenig mehr Gleichheit erreicht werden.“
10| Durch meine Teilnahme an einer Bürgerversammlung in Graz wurde mir bewusst, wie schwierig es ist, insbesondere komplexe Themen in wenigen Stunden ausreichend zu diskutieren. Die Ergebnisse führen mitunter gar zu kontraproduktiven Forderungen an die Politik.
Der Versuch einer „nachhaltigen Demokratieentwicklung“ kennt Widerstände auch bei den Medien, selbst dann, wenn sich die Politik redlich um einen breiten Diskussionsprozess bemüht:

11| Stichworte: Trumpismus, Brexit, …

12| Weitere Zitate von Richard Wrangham aus seinem 2019 erschienen Werk „Die Zähmung des Menschen„:
Die Rousseau’sche Weltsicht hat ein großes Problem: Sie führt allzu leicht zu dem Schluss, dass ein Zustand der Anarchie friedlich wäre. Wenn man Kapitalismus, Patriarchat, Kolonialismus, Rassismus, Sexismus und all die anderen Übel der modernen Welt beseitigt, dann ist das Ergebnis eine ideale Gesellschaft der Liebe und Harmonie, so die Botschaft. Die Vorstellung, dass ausschließlich die Rousseau’sche Güte zu unserem evolutionären Erbe gehört und nicht auch der Hobbes’sche Egoismus, ist allerdings problematisch, weil sie uns einlullen kann. (S 385)
Die evolutionäre Analyse zeigt jedoch, dass der Aufbau gerechter und friedlicher Gesellschaften nicht einfacher wird. Er erfordert Einsatz, Planung und Kooperation. Nomadenhaft lebende Wildbeuter hatten ein System, um sich gegen Tyrannen zu schützen. Jede Gesellschaft muss eigene Wege finden. Wenn wir Gewalt verhindern wollen, dürfen wir nie vergessen, wie leicht es ist, eine komplexe gesellschaftliche Organisation zu zerstören, und wie schwer es ist, sie wieder aufzubauen. (S 387)
Das große Ziel der Menschheit sollte nicht die Kooperation sein. Dieses Ziel ist relativ einfach zu erreichen und in der Selbstdomestizierung und im moralischen Empfinden angelegt. Die größere Herausforderung besteht darin, unsere Fähigkeit zu organisierter Gewalt einzudämmen.
Auf diesem Weg haben wir erste Schritte unternommen, doch das Ziel ist noch weit. (S 388)
Anmerkung: Dieses „wir“ der ersten Schritte gibt es wohl nicht ohne Kooperation. Um die zuvor angesprochene „größere Herausforderung“ bestehen zu können wird es genau dieser bedürfen, quasi als Mittel zum Zweck, um verschiedene „Übel der modernen Welt“ von eben dieser zu beseitigen.
13| Neben der klassischen Zivilgesellschaft sind möglicherweise auch die Gemeinden betroffen genug, um sich für dieses Thema zu begeistern. Im (anhaltenden) Kampf gegen Zentralisierungstendenzen meint nämlich Alfred Riedl in seinem Beitrag „‚Subsidiarität‘ neu denken?„: „Wenn die Kommunen mehr Verantwortung übernehmen sollen, dann müssen sie auch finanziell dementsprechend ausgestattet werden.“ In seiner ARD-Reportage „Was Deutschland bewegt: Wer beherrscht Deutschland?“ zeigt Jan Lorenzen, dass auch deutsche Kommunen Schwierigkeiten haben, ihre Selbstverwaltung (Art. 115 – 129e B-VG) autonom leben zu können. Ist nun – „auch bei Themen, die über die kommunale Ebene hinausgehen“ – nicht wieder so eine „Notzeit“ angebrochen, um als „Baumeister der Republik“ zu fungieren? Die Forderung der Gemeinden, „Vereinbarungen mit dem Bund und den Ländern schließen können“ zu müssen, „wenn es um ihre Angelegenheiten geht“ (jeweils Alfred Riedl, a. a. O.), sollte ebenso für die nichtterritoriale Selbstverwaltung (Art. 120a – c B-VG) gelten. Ein Schulterschluss mit der sich beispielsweise im Rahmen eines Solidaritätspaktes organisierenden Zivilgesellschaft (wozu schließlich auch die Religionsgemeinschaften zu zählen sind) könnte dazu führen, dass sich jene wieder mehr an politischen Mitgestaltungsprozessen beteiligen, die in den bisherigen Formen des Wählens „kaum einen Sinn“ gesehen haben.
- Karl Korinek: Es gibt nicht ein Volksinteresse, sondern unterschiedliche Interessen in der Gesellschaft, auch wenn das von bestimmten politischen Ideologien her nur schwer verständlich sein mag. In diesem Sinne spricht etwa Roman Herzog zutreffend davon, dass in unserer pluralistisch strukturierten Gesellschaft eine Verwirklichung von Gemeinwohl „ohne Würdigung und Befriedigung von Partialinteressen“ nicht vorstellbar sei.
Nach all diesen Überlegungen sollten wir uns fragen: Wie können wir im Sinne des republikanischen Verfassungsprinzips – insbesondere in einer globalisierten Welt – die Gemeinwohlinteressen innerhalb nationaler Grenzen stärken, um Spaltungstendenzen und deren negative Folgen zu vermeiden?

Mit einer Streitkultur, die „den Kontrahenten und dessen Argumente ernst nimmt“ (Isolde Charim) beginnt Veränderung. Danach braucht es ganz konkrete Akte der Solidarität, zB indem den Benachteiligten angemessene Teilhaberechte nicht weiter vorenthalten werden. Dass davon auch die Mitte in einer demokratischen Gesellschaft Vorteile hat, das muss sich in breiten Bevölkerungskreisen erst einmal als Erkenntnis durchsetzen – wenn erforderlich auch als Ergebnis eines zivilisierten Streits, bei dem zB das Gemeinwohl im ideologischen Kampf „gegen die liberale Verabsolutierung freier Marktwirtschaft ohne soziale Verpflichtungen“ die besseren Argumente auf seiner Seite verbuchen darf. Demgegenüber begünstigt das „herrschende marktwirtschaftliche Verrechnungssystem“ soziale Ausgrenzung durch kostenoptimierte Politik zugunsten der „Freiheit wirtschaftlicher Eliten„. Abschließend sei noch auf diesen Gedanken von Lukas Wurz hingewiesen: „Sozialinvestitionen sind die effektivsten Investitionen, die eine Gesellschaft vornehmen kann.“
Adi Buxbaum: „PERSPEKTIVEN FÜR SOZIALEN FORTSCHRITT – SOZIALINVESTITIONEN HABEN EINE MEHRFACHDIVIDENDE“
Karin Heitzmann in ihrem Beitrag zur 10. Armutskonferenz: „So berechnete etwa Nobelpreisträger James Heckman, dass die ökonomischen Bildungserträge (gemessen an künftigen Steuereinnahmen und erwarteten Sozialausgaben) bei sehr jungen Kindern aus sehr benachteiligen Familien am höchsten wären – und in diese somit investiert werden sollte (Heckman et al. 2010). Wie dieses Beispiel zeigt, bedingt die Sozialinvestitionsperspektive auch eine Neuinterpretation der eingesetzten Maßnahmen: So wird Bildung etwa zunehmend als Investition (im ökonomischen Sinne eines James Heckman) gesehen (und damit als ein Mittel zu einem übergeordneten Zweck) und nicht mehr länger als soziales Recht bzw. Zweck an sich (etwa im Sinn von T.H. Marschall) interpretiert.“
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Schottland, Island und Neuseeland gründeten die Gruppe der „Regierungen der Wohlfahrtswirtschaft“. Sie wollen den Fortschritt ihrer Wirtschaft nicht mehr nur anhand des BIPs messen. Stattdessen sind Faktoren wie die psychische Gesundheit ihrer Bevölkerung, der Zugang zu Wohnraum und Grünflächen sowie die Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen in das Zentrum ihrer Wirtschaftspolitik gerückt.
https://kontrast.at/bip-kritik-alternativen-island-neuseeland-schottland
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